Pyeongchang – Das dunkle Erbe von Sotschi macht Pyeongchang den Olympia-Start schwer.
Der Dauer-Wirbel um die Folgen des russischen Dopingskandals mit juristischen Gefechten bis zur letzten Minute und das nach dem Gigantismus bei den Winterspielen 2014 weiter gewachsene Misstrauen gegen das Internationale Olympische Komitee liegen als Schatten über der Eröffnung des Südkorea-Spektakels am Freitag. «So etwas tut mir einfach leid für die Athleten», sagte IOC-Präsident Thomas Bach kurz vor dem Auftakt zerknirscht.
Hoffnung auf positive Schlagzeilen ziehen die Gastgeber immerhin aus der Teilnahme nordkoreanischer Sportler, mit der die Angst vor einer Eskalation der politischen Lage auf der Halbinsel vorerst verschwand, und dem gelungenen Kraftakt bei der Vorbereitung der 102 Wettbewerbe auf Eis und Schnee. «Die Bühne ist bereitet. Wir können uns mit großer Zuversicht auf exzellente Spiele freuen», versicherte Bach im Bemühen, den Blick weg von den Problemfeldern des IOC zu lenken.
Doch jeder Auftritt russischer Sportler, die in Pyeongchang nur unter neutraler Flagge und ohne Hymne starten dürfen, könnte die Erinnerung an den gewaltigen Sportbetrug von Sotschi 2014 zurückbringen. Die umstrittenen Sanktionen des IOC nach den Doping-Manipulationen der Russen bei ihren Heimspielen und die Aufhebung vieler Sperren durch die Sportrichter überlagerten in den Wochen vor den Spielen so manche Erfolgsmeldung aus Pyeongchang.
Umgerechnet mehr als zehn Milliarden Euro haben sich die Südkoreaner ihr erstes Winter-Olympia kosten lassen. 30 Jahre nach den Sommerspielen von Seoul sollen die Investitionen aus der Region in der Provinz Gangwon ein Wintersport-Mekka machen, auch wenn die Ausgaben im Vergleich zu den unfassbaren 50 Milliarden für Sotschi 2014 fast sparsam wirken. «Alles ist fertig geworden», versicherte Gouverneur Choi Moon Soon bei der Eröffnung der beiden Athletendörfer.
Mehr als 2900 Sportler aus 92 Nationen werden an den Start gehen, darunter auch eine kleine Delegation aus Nordkorea. Nach dem überraschenden Vorstoß von Machthaber Kim Jong Un an Neujahr einigten sich Nord- und Südkorea mit dem IOC darauf, eine gemeinsame Eishockeymannschaft der Frauen zu bilden und bei der Eröffnungsfeier zusammen hinter neutraler Flagge einzulaufen. «Das wird nicht nur für Korea ein emotionaler Moment, sondern für die ganze Welt», sagte IOC-Chef Bach.
Mit 102 Medaillen-Entscheidungen wird in Pyeongchang erneut eine Rekordmarke erreicht. Das gefällt nicht jedem. Ski-Star Felix Neureuther, der verletzt in Pyeongchang fehlt, sprach in der «Süddeutschen Zeitung» von einem unnötig aufgeblähten Programm und meinte: «Als Nächstes machen wir Langlauf mit langen und halb so langen Skiern? Und alles, um noch mehr Fernsehzeit, Sponsoren und Einnahmen zu generieren.»
Neu dabei sind in Südkorea vier Disziplinen: die Massenstarts der Eisschnellläufer bei Frauen und Männern, das Team-Event der Skirennfahrer, das Mixed im Curling und der Big-Air-Wettbewerb der Snowboarder. Der Parallel-Slalom der Snowboarder hingegen wurde gestrichen.
Für das deutsche Team eröffnen sich die größten Medaillenchancen wohl erneut im Eiskanal bei Rodlern und Bobpiloten. Aber auch Biathletin Laura Dahlmeier, Skispringer Richard Freitag und die Nordischen Kombinierer lassen den Deutschen Olympischen Sportbund darauf hoffen, die enttäuschende Sotschi-Bilanz von nur 19 Mal Edelmetall diesmal übertreffen zu können. «Die großen Erfolge der vergangenen Winter zeigten jedenfalls: Es geht vieles in eine gute Richtung», sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann.
In Deutschland wird Olympia allerdings nichts für Morgenmuffel. Eine Reihe von Entscheidungen fällt wegen der Zeitverschiebung von acht Stunden in der Nacht oder zur Frühstückszeit. Die Mehrzahl der Medaillen wird dann zur gewohnten Wintersport-Fernsehzeit am Vormittag oder frühen Nachmittag vergeben.
Alle Wettbewerbe live sehen die deutschen TV-Zuschauer diesmal nur bei Eurosport. ARD und ZDF haben sich allerdings über Sublizenzen ebenfalls noch umfangreiche Live-Rechte gesichert.
So manchen Star der Szene werden die Fernsehzuschauer vermissen. Neben Neureuther ist auch Skispringer Severin Freund wegen eines Kreuzbandrisses nicht dabei. Der alternde Biathlon-König Ole Einar Björndalen hat die Qualifikation ebenso verpasst wie sein norwegischer Landsmann Petter Northug im Ski-Langlauf. Besonders groß ist der Aderlass beim Eishockey-Turnier, dem alle NHL-Cracks fehlen, weil die Nordamerika-Liga diesmal eine Spielpause verweigerte.
Auch diese kühle Abfuhr nimmt den Pyeongchang-Spielen ein wenig an Strahlkraft. Die Begeisterung für den Wintersport ist in Südkorea ohnehin eher noch begrenzt. Wenige Tage vor der Eröffnung war noch ein Viertel der Eintrittskarten für die Wettbewerbe zu haben.
Fotocredits: Peter Kneffel
(dpa)