Lausanne/Moskau – Ernste und entschlossene Miene, schwarzer Anzug, geradezu staatsmännisch verkündete IOC-Präsident Thomas Bach die Strafen im russischen Dopingskandal, deren Härte dann doch überraschte.
Russlands Präsident Wladimir Putin dürfte am Dienstagabend in Moskau alles andere als begeistert gewesen sein, als ihm die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees aus Lausanne überbracht wurde.
Russlands Athleten, die keine Dopingvergangenheit haben, müssen bei den Winterspielen unter neutraler Flagge starten und dürfen ihre Nationalhymne nicht hören. Stattdessen müssen sie Wettkampfanzüge tragen, auf denen «Olympiasportler aus Russland (OAR)» steht.
Der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, Alexander Schukow, der in Lausanne versuchte, das IOC von einer milden Strafe zu überzeugen, kündigte an, dass bei einer Versammlung am 12. Dezember Athleten, Trainer und Verbandsvertreter ihr Vorgehen klären sollen.
Die sportpolitischen Spitzen des Landes ging das IOC frontal an: Witali Mutko, einst Sportminister, jetzt Vizeregierungschef, Präsident des Fußballverbandes und Chef des Organisationskomitees der Fußball-Weltmeisterschaft im nächsten Sommer, ist lebenslang für Olympische Spiele gesperrt. Das Nationale Olympische Komitee ist erst einmal suspendiert. Schukow verliert seine IOC-Mitgliedschaft. Russische Spitzenfunktionäre sind von Spielen im südkoreanischen Pyeongchang ausgeladen. Möglich ist ein Gang vor den Internationalen Sportgerichtshof, um diese Entscheidungen anzufechten.
Bach machte vor Journalisten noch einmal die Schwere der russischen Vergehen deutlich: «Es handelt sich um einen nie da gewesenen Angriff auf die Integrität der Olympischen Spiele und des Sports. Diese Entscheidung soll einen Strich ziehen unter die verheerende Episode.»
Das, was die 14-köpfige Führung des IOC unter Leitung Bachs 66 Tage vor der Eröffnungsfeier in Pyeongchang entschied, dürfte die stolze Sportgroßmacht empfindlich treffen. Auch wenn ihr ein kompletter Ausschluss – es wäre der erste in der 121-jährigen olympischen Geschichte wegen Doping-Verstößen gewesen – erspart bleibt.
Das IOC stellte also wie schon der kanadische Sonderermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, Richard McLaren, fest: In Russland gab es ein mutmaßlich staatlich orchestrierte Dopingsystem vor und bei den Winterspielen in Sotschi 2014. Oder wie es der Vorsitzende der sogenannten Schmid-Kommission des IOC, der frühere Schweizer Bundespräsident Samuel Schmid knapp auf den Punkt brachte: «Die Analyse ist wasserdicht und klar.» Schmid musste mit seinem Team klären, wer welche Verantwortung in diesem System trug.
Schmid stellte mit Blick auf Präsident Putin klar, «dass wir keine Anhaltspunkte für sein Mitwirken haben». Mithilfe des Geheimdienstes sollen zahlreiche Dopingproben von russischen Sportlern ausgetauscht worden sein.
Das IOC hat bislang über die Oswald-Kommission unter Leitung von IOC-Mitglied Denis Oswald 25 Sotschi-Teilnehmer lebenslang gesperrt und Russland elf Medaillen, darunter vier goldene aberkannt.
Als weitere Buße für die ungeheuerlichen Machenschaften muss das russische NOK 15 Millionen US-Dollar (12,6 Millionen Euro) für den Aufbau des neuen unabhängigen Doping-Testsystems aufbringen.
Doch das IOC baute aber auch eine Brücke für den Neuanfang. Sollte Russland den Beschluss des IOC akzeptieren, wird die Suspendierung des NOK mit Ende der Spiele in Südkorea aufgehoben. Es bleibt abzuwarten, ob die Führung des Landes um Präsident Putin darauf eingeht.
In einer ersten Reaktion kündigte das russische Fernsehen an, keine Wettbewerbe aus Südkorea zu übertragen. Es werden Winterspiele, bei denen Russland keine einzige Medaille offiziell gewinnen wird.
Der IOC-Präsident bekam Beifall aus der Sportwelt. Das amerikanische Nationale Olympische Komitee (USOC) begrüßte die Sanktionen. «Das IOC hat eine starke und prinzipientreue Entscheidung getroffen», twitterte das USOC. Alfons Hörmann sprach als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes von einem «historischen Tag für den Weltsport und den deutschen Sport».
Wut und Enttäuschung herrschte in Russland. «Diese Entscheidung kann und sollte man anfechten, denn sie bestimmt über das Schicksal einer ganzen Generation von Sportlern und Trainern», sagte Curling-Verbandschef Dmitri Swischtschew.
Es hätte noch schlimmer kommen können. Trotz der erdrückenden Beweislage konnten sich Bach, der als Freund von Russlands Staatschef gilt, und seine Kollegen nicht zu einem Ausschluss durchringen. «Ich habe diese Angelegenheit überhaupt nicht mit Präsident Putin diskutiert», stellte Bach klar.
Vor den Sommerspielen in Rio hatte das IOC – im Gegensatz zum Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) – Russland von einer drastischen Strafe verschont. Damals hatte das IOC die Verantwortung auf die Verbände übertragen, die eine Einzelfallprüfung der jeweiligen Sportler durchführen sollten. Viele Verbände waren überfordert und ließen die Athleten en bloc starten. Bach muss sich seitdem immer wieder anhören, er persönlich habe nicht genug Härte gegen Russland gezeigt.
Nun also die verschärfte Maßnahme des IOC, die aber laut Bach Rücksicht auf die Sportler nimmt: «Alle sauberen Athleten werden unter streng definierten Bedingungen teilnehmen dürfen. Sie können in Pyeongchang eine Brücke bauen.»
Putin hatte für den Fall eines Starts unter neutraler Flagge vor einigen Wochen noch von einer Demütigung gesprochen. Aus Moskau kamen Boykott-Drohungen. In den letzten Tagen waren moderatere Töne zu vernehmen. «Wir sind gegen eine Einschränkung der Rechte unserer Sportler», hatte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag noch betont. Ein Boykott werde aber nicht erwogen. Darauf angesprochen sagte Bach: «Ein Boykott hat noch nie etwas gebracht.»
Auslöser des Skandals war der Dopingbetrug in Sotschi. Der ehemalige Leiter des Moskauer Anti-Dopinglabors, Grigori Rodschenkow, hatte als Kronzeuge berichtet. Die Pläne dafür seien bis in höchste politische Kreise bekannt gewesen. So sollen Manipulationen bei 15 von 33 Medaillengewinnern vertuscht worden sein.
Der kanadische Rechtsprofessor Richard McLaren hatte im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA in zwei Berichten – auch mit Hilfe Rodschenkows – umfangreiches Material gesammelt, die staatlich gesteuerte Manipulationen im russischen Sport belegen. Mehr als 1000 Athleten sollen zwischen 2011 und 2015 davon profitiert haben.
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(dpa)