London – Zumindest der Rollstuhl blieb Usain Bolt erspart. Doch zum Drama eines denkwürdigen Abends wurde sein letztes Rennen allemal: Krampf und Schmerzen statt Gold und Gloria.
Die Lichtgestalt der Leichtathletik, der schnellste Sprinter des Planeten, ging nicht strahlend und als Sieger, er humpelte mit schmerzverzerrtem Gesicht aus dem Londoner Olympiastadion. Seine drei Staffelkollegen mussten ihn stützen und trösten.
Ein Volunteer begleitet das am Boden zerstörte Jamaika-Team, er schiebt einen Rollstuhl, schaut fragend zu Bolt rüber: Aber nein! Der tragische Held schafft die allerletzten Meter seiner Karriere dann doch (fast) allein, in jener Arena, wo er fünf Jahre zuvor zum dreimal vergoldeten Olympia-Helden aufgestiegen war. Der sprintende Entertainer, der bei seinem Berliner 9,58-Sekunden-Weltrekord Tempo 45 draufhatte, dieser Modellathlet fährt im Rollstuhl in den sportlichen Ruhestand? Es wäre das Foto des Jahres gewesen.
Noch in der Nacht schickte Bolt eine emotionale Neun-Worte-Botschaft an seine treuen und traurigen Anhänger: «Danke euch, meine Leute. Unendliche Liebe für meine Fans», schrieb der Jamaikaner auf Twitter und Facebook, wo ihm seit Jahren zig Millionen folgen.
«Das tut schon weh, so eine echte Legende, einen echten Champion so zu sehen: wie er da rausgeht und dann so strauchelt», meinte Mitstreiter Yohan Blake, der wohl 2011 nur 100-Meter-Weltmeister wurde, weil Bolt seinen einzigen Fehlstart fabrizierte.
«Das tut mir leid mit der Verletzung. Aber er ist immer noch der Beste auf der Welt», meinte der Amerikaner Justin Gatlin, Bolts Dauerrivale in vielen Sprintduellen. Dass die US-Männer mit dem früheren Dopingsünder Gatlin dann nur Silber hinter den britischen Sensationssiegern holten, geriet an jenem Abend zur Randnotiz.
Denn es war wie immer: Wo Bolt auftaucht, da ist Bolt das Thema Nummer 1, selbst als Verlierer, wie zu WM-Beginn bei seinem Bronzelauf über 100 Meter. Er ist und bleibt der Größte, so wie einst Box-Champ Muhammad Ali. Dass seine Karriere nun so zu Ende geht, neun Tage vor seinem 31. Geburtstag, das stand nicht im Drehbuch der Abschiedsgala. Am Vormittag feierten die Zuschauer Bolt noch mit Jubel und Ovationen, am Abend litten 56 000 Augenzeugen im rappelvollen Olympiastadion mit dem gefallenen Star.
«Es war ein grausamer und unvorstellbarer Abschied», befand die spanische Zeitung «Marca» am Sonntag – «der Zusammenbruch eines Imperiums.» Und «AS» kommentierte: «Das letzte Rennen von Bolt wird als Schock in die Geschichte eingehen.»
Was war überhaupt passiert, in der «Nacht, in der Götter fallen» («La Repubblica»)? Ein Muskelkrampf im linken Oberschenkel hatte Bolt im dramatischen Staffelfinale ins Straucheln gebracht und gestoppt. Als um 22.03 Uhr Ortszeit alles aus und vorbei war, da lag die Lichtgestalt der Leichtathletik am Boden – eine seltene Szene.
Offenbar war die extrem lange Wartezeit der Finalstaffeln bei abendlicher Kühle schuld daran, dass Schlussläufer Bolt schon nach wenigen Metern einen Krampf bekam. «Mann, das war irrwitzig! Wir haben wirklich ganz lange gewartet», schilderte Startläufer Omar McLeod, «ich habe zwei Flaschen Wasser getrunken.» Der Name Usain Bolt, «wird für immer weiterleben».
Auch Gatlin vermutet die Kälte als Grund für Bolts Verletzung. «Wir haben unsere Sachen wohl ein bisschen zu früh ausgezogen. Es ist etwas kühl hier, und ich glaube, daher kam der Krampf.»
Längst ist der Mann, der mit Diplomatenpass durch die Welt reist, in Jamaika ein Volksheld. Der überragende Sprinter der vergangenen zehn Jahre hat acht olympische Goldmedaillen und elf WM-Titel gewonnen, fünf Einzel-Weltrekorde aufgestellt. Der Verdacht lief ständig mit, oft wieder schwirrten Gerüchte durch Stadien und Medien – doch alle Dopingtests waren negativ. Bolts berühmte Bogenschütze-Siegerpose wurde zum globalen Markenzeichen, das inzwischen Millionen Menschen kennen. Er sollte sie zum Patent anmelden.
Fotocredits: Dirk Waem,David J. Phillip,Bernd Thissen
(dpa)