Kasan – Beim Umzug nach Kasan hieß überraschend Cristiano Ronaldo die siegreichen deutschen Confed-Cup-Kicker um den groß aufspielenden Turnierneuling Leon Goretzka willkommen.
Im Innenhof des DFB-Teamhotels im Zentrum der Tatarenstadt an der Wolga lächelt der Weltfußballer überlebensgroß die Gäste an. Über die gesamte Wand eines Hauses erstreckt sich das bunte Gemälde, das den zwinkernden Weltstar zeigt. Bis Montag logierte der Europameister noch selbst mit seinen Portugiesen dort. Mit dem knappen, aber verheißungsvollen 3:2 (2:1) gegen Australien haben Joachim Löws WM-Probanden den Grundstein dafür gelegt, im Turnierverlauf womöglich dem leibhaftigen Ronaldo auch auf dem Platz zu begegnen – aber frühestens im Halbfinale.
Erst einmal steht am Donnerstag (20.00 Uhr) die Kraftprobe um den Gruppensieg gegen die starken Chilenen um Bayern-Ass Arturo Vidal auf dem Spielplan. «Chile ist eine andere Qualität als Australien. Da sind schon ein paar Weltklassespieler dabei», erklärte Goretzka, die erste große deutsche Entdeckung beim WM-Testlauf in Russland. Der junger Schalker verbreitete aber keine Ehrfurcht, sondern pure Vorfreude. «Das Turnier ist ja auch dafür da, sich mit solchen Mannschaften zu messen», sagte das 22 Jahre alte Toptalent.
So hat sich auch Löw seinen Sichtungs-Cup für die WM-Titelmission vorgestellt. Goretzka, Julian Brandt, Lars Stindl – es haben sich auf Anhieb einige Akteure in den Vordergrund gedrängt. «In der Mannschaft ist in sehr kurzer Zeit eine sehr starke Energie entstanden», lobte Löw. Der erfahrene Turniercoach vermied es nach seinem 99. Sieg mit der Nationalelf dennoch, vorschnell Ziele über die Vorrunde hinaus auszurufen. «Ich darf die Erwartungen auch nicht zu hoch stecken.»
Ausruhen und ausschlafen war nach der nächtlichen Ankunft im Auge von Ronaldo angesagt. Löw genehmigte seinen 21 Akteuren sogar einen freien Nachmittag, bevor es wieder ernst wird. «Chile wird ein Spiel auf einem anderen Level», betonte er. «Da müssen wir schon schauen, dass wir die Stabilität über 90 Minuten halten können – und nicht nur über 60», sagte der Bundestrainer angesichts der noch wackligen Defensive um Torwart Bernd Leno. Der 25-Jährige war der Verlierer des Abends. Bei beiden Gegentoren von Tommy Rogic und Tomi Juric machte er eine schlechte Figur. «Er hat vielleicht mal einen Fehler gemacht, aber das ist für mich kein Problem», bemerkte Löw nachsichtig. Gegen Chile wird aber ein anderer Keeper im Tor stehen.
Löw fordert keine Wunderdinge von seiner neuformierten Elf. «Wer erwartet nach zehn Tagen, dass alles funktioniert? Mit dieser neuen Mannschaft haben einige Dinge schon sehr gut geklappt.» Er habe viele gute Ansätze gesehen. «Und es ist bemerkenswert, dass die Mannschaft diese zwei, drei Schwerpunkte, die wir jetzt immer wieder geübt haben, so gut umsetzen kann», hob der Bundestrainer hervor.
Im Vorwärtsgang machten Goretzka, Brandt, Stindl und Co. Spaß. Immerhin 6,07 Millionen TV-Zuschauer verfolgten die Partie zur späten Nachmittagszeit in Deutschland. «Wenn viele gute Fußballer auf einem Haufen sind, ist es vorne meistens leichter als die Abstimmung in der Abwehr», sagte Kapitän Draxler zur Kluft zwischen offensivem Schwung und einer instabilen Defensive. «Das erarbeitet man sich nicht in ein, zwei Wochen», mahnte Draxler. «Jetzt wissen wir, woran man noch arbeiten kann», erklärte Löw.
Der größte Gewinner unter den deutschen Siegern war Goretzka. «Wir haben schon in einigen Situationen gezeigt, dass wir sehr gut Fußball spielen können», sagte der Schalker. Vor allem er war auf dem Platz omnipräsent und an allen Toren beteiligt. Das 1:0 von Stindl leitete er ein. Draxlers Elfmeter zum 2:1 holte er raus. Und sein bestes von sechs Länderspielen krönte der dynamische Mittelfeldspieler mit dem ersten Tor für Deutschland zum wichtigen 3:1. «Für mich war Leon der beste Mann auf dem Platz», urteilte Bayern-Profi Joshua Kimmich.
Löw schwärmte geradezu von Goretzka, in dem er Richtung WM 2018 einen echten Druckmacher auf etablierte Weltmeister wie Sami Khedira sieht. «Er war sehr stark. Er war sehr präsent. Er hat sehr viel gearbeitet. Er hat Zweikämpfe gewonnen in der Defensive. Und was er wirklich überragend gut macht, sind die Läufe in die Tiefe aus dem Mittelfeld. Das macht ihn so gefährlich», zählte Löw auf. «Er ist in einer sehr guten Form und macht einen sehr guten, fitten Eindruck.»
Auch die urlaubenden Weltmeister äußerten sich in Internetbotschaften angetan vom Start der jungen, unerfahrenen zweiten Garde in Russland. «Good job, boys!», schrieb etwa Jérôme Boateng («Guter Job, Jungs»). Löw stimmte ein in das Lob auf Goretzka, Brandt und Co. «Sie wollen das Turnier zu ihrem Turnier machen», frohlockte der Bundestrainer.
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(dpa)