Köln – Ernüchterung statt Euphorie: Das drohende Turnier-Aus von DEB-Kapitän Christian Ehrhoff dämpft die Hoffnungen auf ein erneutes WM-Eismärchen zusätzlich.
Nach der heftigen 2:7-Klatsche gegen Angstgegner Schweden war Eishockey-Bundestrainer Marco Sturm nicht nur vom Ergebnis schwer genervt. Am Sonntag trat der 38-Jährige wieder entspannter auf, wiederholte aber mit Blick auf Ehrhoff seine Worte vom Vorabend. «Eins ist klar, es muss jetzt auch ziemlich bald eine Entscheidung fallen», sagte Sturm. «Wir können nicht ewig darauf warten, bis der Christian zurückkommt.» Das Duell mit Rekordchampion Russland am Montag (16.15 Uhr) wolle er aber möglicherweise noch abwarten.
Ehrhoff, vor sieben Jahren als WM-All-Star-Team-Mitglied ein Erfolgsgarant, hat wegen nicht näher definierter Oberkörperprobleme bislang beide Spiele verpasst. Beim 2:1 gegen die USA fiel das Fehlen des 34-Jährigen nicht sonderlich ins Gewicht. Nur 24 Stunden später gegen den Titelfavoriten Schweden dagegen schon. «Man sieht es an den Kräften der Verteidiger», sagte Sturm zur Personalsituation mit nur sechs Abwehrspielern im Kader. Die deutliche Pleite im zweiten WM-Spiel ohne den Kapitän ließ ein Halbfinal-Wunder wie bei der bislang letzten Heim-WM 2010 fraglich erscheinen.
Die Chancen auf eine erneute Viertelfinal-Teilnahme stehen durch den Auftaktsieg am Freitag zwar gut, doch gegen echte Top-Nationen stößt die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) an ihre Grenzen. Turniermitfavorit Russland spielte sich vor dem Aufeinandertreffen beim 10:1 gegen Italien am Sonntag in einen Torrausch.
Sturm spendierte seinen Profis einen freien Tag, erst am frühen Abend sollte die Vorbereitung auf das dritte Vorrundenspiel beginnen. Gegen die russischen Eishockey-Cracks dürfte Deutschland mit sieben Verteidigern auflaufen. Sinan Akdag von den Adler Mannheim war bis Sonntag noch nicht für die WM gemeldet, da Sturm auf NHL-Verstärkung wartete. Eine «gute Option» sei auch Stürmer Yannic Seidenberg, der auch in München schon die Rolle getauscht hatte.
Wie sehr Ehrhoffs Präsenz auf dem Eis fehlt, wurde gegen Schweden am Samstagabend deutlich. «Jede Sekunde im Spiel wünscht man ihn herbei. Seine Erfahrung und Ruhe könnten wir gut gebrauchen», sagte Ersatz-Kapitän Dennis Seidenberg von den New York Islanders. Der 35 Jahre alte NHL-Verteidiger scheint bislang der Einzige in der deutschen Abwehr, der Ambitionen auf eine erneute WM-Überraschung wie vor sieben Jahren rechtfertigt.
«Seine Qualität geht uns natürlich ab», sagte der zweifache Torschütze Patrick Hager über das Fehlen seines Kölner Teamkameraden Ehrhoff. Ohne den früheren NHL-Verteidiger und einst bestbezahlten Verteidiger der Welt droht gegen Rekordweltmeister Russland das nächste Debakel. Auch dann muss die DEB-Auswahl noch ohne weitere NHL-Verstärkung auskommen.
Die wahrscheinliche WM-Teilnahme von Goalie Philipp Grubauer verzögert sich durch Washingtons Sieg in der Playoff-Serie gegen Pittsburgh am Wochenende. Das Saison-Aus von Edmontons Leon Draisaitl könnte frühestens am Montag besiegelt sein. «Er ist der beste deutsche Spieler, den wir haben. Aber es bringt nichts, jetzt über ihn zu sprechen, denn er ist noch nicht hier», sagte Sturm.
Sollte der 21-Jährige allerdings in den kommenden Tagen in seine Heimatstadt Köln nachreisen, würde dies die Chancen auf eine erneut triumphale Heim-WM erheblich steigern. «Eine Person kann die Mannschaft definitiv verändern, und das ist Leon Draisaitl», sagte Sturm über den aktuellen Topscorer der Edmonton Oilers.
Auch ohne Draisaitl sind die Aussichten auf ein erneutes Viertelfinale trotz der 33. WM-Niederlage im 36. Spiel gegen Schweden gut. Durch den überraschenden Sieg gegen die USA wäre auch eine weitere Niederlage gegen Russland zu verkraften. «Wenn wir die 18 000 im Rücken haben, kann noch das eine oder andere Märchen entstehen», sagte Stürmer Philip Gogulla angesichts des Heim-Vorteils.
Dass die heftige Niederlage gegen starke Schweden mentale Probleme bereitet, stritten die nur knapp zwei Drittel leidenschaftlich spielenden deutschen Profis vehement ab. «Montag greifen wir wieder an», versprach Gogulla und Bundestrainer Sturm meinte gar: «Wir glauben daran, dass wir jede Mannschaft schlagen können.»
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(dpa)