Hamburg – Siebter Feldspieler hin, Blaue Karte her: Die neuen Regeln im internationalen Handball können die Vorfreude der Fans auf die neue Saison nicht bremsen. Befeuert durch EM-Titel und Olympia-Bronze der deutschen Nationalmannschaft ist das Interesse deutlich gestiegen.
In der 51. Saison der hiesigen Eliteliga erhoffen sich Liga-Verband und Vereine einen zunehmenden Run auf die Spiele.
Doch das veränderte Regelwerk stößt unter Trainern, Spielern und Fans auf reichlich Skepsis und Ablehnung. «Die IHF hat uns ein schönes Ei ins Nest gelegt», klagte der deutsche Schiedsrichter-Chef Peter Rauchfuß bei Inkrafttreten der Vorschriften. Inzwischen wurden erste Erfahrungen gesammelt. «Bei Olympia waren die Auswirkungen nicht so dramatisch. Ich fand keine Regel katastrophal», sagt Frank Bohmann, Geschäftsführer des Liga-Verbandes HBL, und rät: «Geben wir den Regeln ein Jahr lang eine Chance. Dann werten wir sie mit der IHF aus.» Lediglich die Blaue Karte als Androhung einer spielübergreifenden Strafe sieht Bohmann als unnütz an.
Neben dem siebten Feldspieler wird die Drei-Angriffe-Sperre für ärztlich behandelte Profis auf dem Spielfeld mit Argwohn gesehen. Eigentlich soll damit das Zeitschinden durch Simulanten unterbunden werden. Trainer Frank Carstens von GWD Minden sieht darin aber «eine Art von Bestrafung» und erklärt: «Der gefoulte Spieler ist nicht nur verletzt, sondern muss auch auf der Bank Platz nehmen.»
Eine Neuerung sticht heraus: der siebte Feldspieler, der den Torwart jederzeit ersetzen kann und kein Leibchen mehr tragen muss. Dafür hat Bundestrainer Dagur Sigurdsson nur noch Sarkasmus übrig: «Herzlichen Glückwunsch zu dieser Regel.»
Trainer Nikolaj Jacobsen von Meister Rhein-Neckar Löwen glaubt, dass nunmehr die Außenseiter «vermehrt ihre Chance gegen die Favoriten in der Überzahl suchen. Er wird vermutlich mehr Überraschungen geben.» In diesem Bestreben sieht Trainer Michael Roth von der MT Melsungen eine große Gefahr: «Ich hoffe, dass die Kollegen das nicht übertreiben, dass nur noch sieben gegen sechs spielen. Es will keiner sehen, dass ständig der Ball ins leere Tor geworfen wird.»
Der Vorteil durch den siebten Mann kann schnell zum Nachteil werden, wenn bei Balleroberung durch den Gegner das eigene Tor leer steht. So gelangen Deutschlands Torhüter Andreas Wolff bei Olympia vier Tore. «Selbst die besten Nationen mit den besten Spielern der Welt hatten Probleme mit sieben gegen sechs. Ich bin gespannt, wie viele Mannschaften wirklich darauf setzen werden und das Risiko eingehen, einfache Tore zu kassieren», meint Erlangens Coach Robert Andersson.
Harsche Kritik kommt aus Göppingen, Trainer Magnus Andersson stöhnt: «Das ist Katastrophen-Handball. Wir erleben eine ganz neue Sportart. Der Vorteil einer guten Abwehr ist dadurch weg.» Das kann Trainer Bennet Wiegert vom SC Magdeburg nicht bestätigen. Er sieht den siebten Mann nicht «als DAS taktische Mittel» an. «Es gibt aber einige Situationen, in denen das weiterhilft», meint er. Sein Kollege Emir Kurtagic aus Gummersbach hat einen berechtigten Einwand: «Ich halte nichts davon, dass eine Mannschaft nach einer Bestrafung das Recht bekommt, in Gleichzahl zu spielen, als ob nichts gewesen wäre.»
Trotz aller Diskussionen: Die Fans lassen sich ihre Begeisterung nicht nehmen. Waren in der Saison 2014/15 im Schnitt 4591 Zuschauer in die Hallen gekommen, kletterte der Zuspruch im Spieljahr des EM-Titelgewinns auf den Rekord von 4935 Fans pro Partie. Nach Olympia-Bronze werden jetzt mehr als 5000 Zuschauer pro Spiel erwartet. Bohmann: «Der Dauerkarten-Verkauf bricht alle Rekorde.»
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(dpa)