Rio de Janeiro – Versonnen blickte Thomas Röhler auf die Goldmedaille, die um seinen Hals hing, und sagte – voller Staunen und Stolz – als erstes diesen Satz: «Seit 44 Jahren hat Deutschland wieder einen Speerwurf-Olympiasieger.»
Die sporthistorische Bedeutung seines Gold-Coups war dem 24-Jährigen aus Jena schnell bewusst. 1972 in München war Klaus Wolfermann zuletzt dieses Kunststück gelungen.
Nun setzte Röhler einen glanzvollen Schlusspunkt am letzten Leichtathletik-Abend im Olympiastadion von Rio de Janeiro und bescherte dem zeitweise schwer gebeutelten deutschen Team den zweiten Sieg nach Diskuswerfer Christoph Harting.
Ob er Wolfermann denn kenne, wurde Röhler gefragt, als er in den Katakomben auftauchte. «Ich hab‘ ihn schon mal gesehen, mal gegrüßt. Er hat mir mal zugewunken. Aber geredet habe ich nicht mit ihm.» In der Pressekonferenz wurde der Goldmedaillengewinner fälschlicherweise als erster deutsche Speerwurf-Olympiasieger seit 1936 vorgestellt. Da grinste Röhler die Journalisten an.
Im fünften Durchgang hatte der WM-Vierte von 2015 sein 800 Gramm schweres Wurfgerät auf 90,30 Meter geschleudert. Strahlend winkte er nach seinem letzten Versuch ins Publikum und ließ sich auf einer Ehrenrunde mit der deutschen Fahne um die Schultern feiern. «Ich hatte schon beim Aufstehen ein super Gefühl. Es war ein super Jahr – das ist die Krönung», sagte Röhler.
Er war als Weltjahresbester mit 91,28 Metern angereist, jagte aber lange der Führungsweite von Julius Jego nach, der 88,24 Meter vorgelegt hatte. Am Ende ging Silber an den Weltmeister aus Kenia, der sich allerdings mit den eigenen Spikes an der Wade verletzte und die letzten zwei Würfe nicht mehr absolvieren konnte.
Bronze gewann vier Jahre nach seinem Sensations-Olympiasieg in London Keshorn Walcott aus Trinidad und Tobago mit 85,38 Metern. Johannes Vetter aus Offenburg freute sich über seinen vierten Platz und schwärmte vom neuen Olympiasieger: «Einfach bombastisch! Er hat es sich wirklich verdient nach dem Jahr.»
Bei der WM vor einem Jahr in Peking hatte Röhler die Bronzemedaille nur um 23 Zentimeter verfehlt. Bei der EM im Juni in Amsterdam war er wegen eines Muskelfaserrisses im Rücken nur Fünfter geworden. In der Qualifikation in Rio hielt er sich bewusst zurück: «Es war ein Risky-Plan, aber er hat voll funktioniert.»
Und dann verriet der Thüringer, wie er seine weiten Würfe plant. Vor der Ausscheidung war er im Stadion, hat Fotos gemacht und sich eine Stelle ausgesucht, die er anpeilt: «Wir arbeiten viel mit Punkten. Ich suche mir einen Punkt, den ich anvisiere.» Welcher das diesmal war? «Eine Treppe – oder was weiß ich. Sie können ja suchen gehen», meinte er lachend.
Genauso geht Röhler vor, wenn er dem Hobby vieler Speer-Asse nachgeht: Streichholzwerfen – mit gaaanz viel Gefühl. «Ich habe schon 32 Meter geworfen», verriet er in einem Interview der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Wenn man das Streichholz an der richtigen Stelle anpacke, an seinem Schwerpunkt, und wenn man Wurfgefühl habe, dann sei es möglich, es so weit zu werfen. «Es fängt an zu fliegen wie ein Speer. Die Kunst ist, so wenig Kraft wie möglich einzusetzen. Man wirft es ähnlich wie einen Dart-Pfeil.»
Uwe Hohn, der Hundert-Meter-Werfer mit dem alten Speer, soll einen persönlichen Rekord von 34 Metern haben. Klaus Wolfermann könnte Röhler nun mal fragen, wenn sich die beiden bisher einzigen deutschen Olympiasieger in dieser klassischen Disziplin treffen sollten. Den Film von Wolfermanns Triumph 1972 kennt Röhler natürlich. Das brachte ihn aber nicht groß weiter: «Das war ein alter Speer. Das können wir uns inhaltlich nicht ansehnen, das würde uns nicht helfen.»
Fotocredits: Michael Kappeler
(dpa)