Rio de Janeiro – Auch die schönen Bilder, die Postkartenseiten Rio de Janeiros, können nichts retten. Die ersten Spiele in Südamerika sind bisher überschattet von Pannen, Pech und Beschwerden.
«Das sind bisher die schwierigsten Spiele, die wir jemals erlebt haben», sagt IOC-Vizepräsident John Coates. Kein Vergleich zu London 2012, das fängt schon bei den kaum gefüllten Stadien an. Eine Zwischenbilanz.
STIMMUNG: Statt der erhofften eine Million werden nur 300 000 bis 500 000 Touristen erwartet. So sind es vor allem die Brasilianer und andere Südamerikaner, die Stimmung machen, beim Basketballmatch gegen Argentinien (107:111 nach zweifacher Verlängerung) brodelte die Carioca-Arena. Aber es gibt auch viel Kritik, an unfairem Ausbuhen, Schlachtgesängen wie beim Fußball. Brasilien bejubelt das Judo-Gold von Rafaela Silva als magischen Moment. Sie wuchs in der aus dem Film «City of God» bekannten Favela auf. Beim Schwimmen waren die Goldrennen des 23-fachen Olympiasiegers Michael Phelps Höhepunkte. Olympia pur bietet die Beachvolleyballarena am Strand der Copacabana.
LEERE STADIEN: Offiziell wurden 84 Prozent der Tickets verkauft, aber Zehntausende Plätze blieben wegen langer Warteschlangen und Transportproblemen unbesetzt. Viele Touristen blieben zu Hause – und entsprechend Zehntausende Sponsorentickets ungenutzt. Und: Es werden in der Regel Tagestickets verkauft. Das kann zu folgender Situation führen: Beim Tennis-Halbfinale zwischen Rafael Nadal und Juan Martin del Potro war die Tennis-Arena rappelvoll, danach beim Endspiel der Damen zwischen Angelique Kerber und Monica Puig war es sehr leer. Ein Problem: Die Essens- und Getränkestände haben oft am Nachmittag kaum noch was im Angebot, viele verlassen daher den Olympiapark vorzeitig.
WEITE WEGE: Ein Beispiel: Wer vom Beachvolleyball in Copacabana zum Basketball oder Schwimmen im Olympiapark in Barra will, läuft 20 Minuten zur Metro, fährt 10 Minuten bis zu einer Station, wo er in eine andere Metro einsteigt, dann knapp 20 Minuten bis Barra. Dann noch einmal rund 30 Minuten mit dem Bus zum Olympiapark. Die vier Zentren der Spiele liegen weit auseinander, der Transport ist für viele ein Alptraum, die Beschilderung oft schlecht. Zehntausende Freiwillige bemühen sich redlich, aber kompakte Spiele sind es nicht.
OLYMPIA-HOTSPOT: Wer wirklich Olympia-Stimmung erleben will, muss zum Kultur-Boulevard am Hafen. Hier sind die Brasilianer in Scharen. Aber keine Sportstätten. Sie sehen Olympia halt weniger als Sportevent, sondern als Karneval im Winter. Jeden Tag tummeln sich Zehntausende auf der Feier- und Kulturmeile, alte Segel- und Kreuzfahrtschiffe liegen vor Anker. Hier ist das Olympische Feuer hingebracht worden, es lodert im Schatten der Candelária-Kirche. Nirgendwo in Brasilien dürfte gerade die Selfie-Dichte höher sein. Vor den TV-Leinwänden mit Olympia-Übertragungen ist es dagegen oft ziemlich leer. Gleiches Bild in den Favelas – es sei denn, Brasilianer sind mit von der Partie. Wer Rio erleben will, sollte in Samba-Bars statt ins Stadion gehen.
ATHLETENÄRGER: «Das, was hier von Brasilien angeboten wird, hat nichts mit Olympia zu tun», schimpft Damenhockey-Bundestrainer Jamilon Mülders. Die Apartments im olympischen Dorf seien fünf Tage lang nicht geputzt worden. «Wir putzen jetzt selbst die Bäder. Die Toiletten sind immer wieder verstopft. Als wir angekommen sind, lag dort sogar noch Bauschutt.» Die Wäsche verschwinde für Tage beim Service und sei trotzdem nicht sauber. Viele Klagen gibt es über das Essen, weshalb eine US-Fast-Food-Kette sich vor Andrang kaum noch retten kann. Es ist halt der Versuch, mit viel weniger Geld als in London und Peking Spiele zu organisieren. Letztlich muss man sich entscheiden, was man will: Alles immer größer, kaum noch zu organisieren und finanzieren, oder Spiele mit weniger Komfort.
SICHERHEIT: Verglichen mit dem «normalen» Alltag in Rio ist es bisher noch glimpflich abgegangen – auch in London passieren jeden Tag Verbrechen, nur bei Rio wird es immer ein bisschen klischeehaft als Stadt von Mord und Gewalt betrachtet. Dabei besagten Statistiken 2015 eine Besserung, die niedrigste Mordrate seit Jahrzehnten. Pech war, dass im Olympia-Reitzentrum Patronenhülsen unbekannter Herkunft auftauchten, und ein Journalisten-Bus mit Steinen angegriffen wurde, das bestätigten die Bedenken. Aber zumindest gab es bisher keine größere Terror-Gefahr, 85 000 Sicherheitskräfte tun ihr Bestes.
GRÜNES WASSER: Die als Kloake verschrieene Guanabara-Sucht wurde wie durch ein kleines Wunder so weit gesäubert, dass die Segler hier ohne größere Gesundheitsrisiken segeln konnten. Dafür war plötzlich das Wasser im Maria Lenk Aquatics Centre bei den Wasserspringen grün, das der Wasserballer daneben weiter blau. Wenig später wurde es ebenfalls grün. Für die Wasseraufbereitung verwendete Chemikalien waren aus den Wassertanks ausgelaufen. Das war zwar nicht gesundheitsgefährdend, aber symptomatisch für Rios Pechsträhne. Das Bild ging um die Welt.
Mal sehen, ob das Nachjustieren, die Versprechen von Besserung in der zweiten Woche noch eine Wende zum Besseren bringen. Für Deutschlands Turnstar Fabian Hambüchen landet Rio bei vier Olympischen Spielen klar auf Platz vier. Man bedauere trotz allem nicht die Vergabe, sagt IOC-Vize Coates. «Es ist wichtig, die Spiele auszuweiten.» Aber, ob es rasch wieder Spiele in Südamerika geben wird? Oder mal in Afrika? Rio 2016 ist bisher nur bedingt Werbung für mutige Olympiavergaben.
Fotocredits: Michael Kappeler
(dpa)